Mosse Lecture: Sigrid Weigel - Figurationen von Stimme und Ohr: Der Beichtstuhl - die Couch - das Programm

(© Foto: Hartwig Klappert)

Ein wechselweises Sprechen und Hören in der Gegenwart zweier Personen von Angesicht zu Angesicht: das gilt als idealtypische Gesprächssituation. Dagegen ist die Konstellation von Stimme und Ohr signifikant asymmetrisch. Obwohl die Aktivität bei der/dem Sprechenden liegt, gebietet das Ohr über die Rede. Dessen Ort und Instanz entscheiden über die Art des Hörens – erhören, zuhören, anhören, lauschen, verhören, aushorchen – und weisen den Betenden, Pönitenten, Patienten, Zeugen oder Delinquenten den ihnen angemessenen Sprechakt zu. Die Hoffnung, ein geneigtes Ohr zu finden, oder die Verheißung, ge- oder erhört zu werden, fordern eine Unterwerfung unter die Autorität oder das Wissen der hörenden Instanz. Deren Macht ist nicht selten mit einer symptomatischen Unsichtbarkeit verbunden: ganz Ohr, aber ohne (sichtbaren) Körper, – wie auf antiken Weihtafeln und Ohrenstelen für ‚erhörende Götter‘ zu sehen. Wenn menschliche Instanzen in dieses Szenario eintreten, bleiben sie oft verborgen, z.B. hinter dem Gitter des Beichtstuhls, im Rücken des Patienten in der Analyse, am anderen Ende der medialen Leitung. Diese Verborgenheit wird in der digitalen Stimmanalyse, bei der Algorithmen zur Sprecheridentifikation und Emotion Detection eingesetzt werden, total.

Einführung und Gespräch: Stefan Willer

Sigrid Weigel ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Bis zur Emeritierung 2015 war sie Direktorin des Leibniz-Zentrums für Literatur- und Kulturforschung und Professorin an der Technischen Universität Berlin sowie bis 2016 Permanent Visiting Professor an der Princeton University. Weigel gilt als Wegbereiterin der Kultur- und Genderforschung an deutschen Universitäten und setzte in diesen Wissensfeldern zentrale Impulse. Ihre Forschungsinteressen liegen u.a. bei Konzepten der Zeugenschaft, des Erbes und der Generation, bildtheoretischen Fragen, dem Nachleben von Ritual, Mythos und Religion in der Moderne sowie den Schriften Walter Benjamins, Aby Warburgs, Hannah Arendts u. a. Mit der Stimme befasste sie sich in zahlreichen Publikationen, u. a. als Medium des Nachlebens und zuletzt im Aufsatz »Die Stimme. Von der Sprache und über sie hinaus« (2016); Weigels Schriften wurden vielfach übersetzt, sie ist Trägerin mehrerer Ehrendoktorwürden und wurde 2016 mit dem Aby Warburg-Preis der Stadt Hamburg ausgezeichnet.

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  • Robert Loth
    MOSSE-LECTURES

    Humboldt-Universität zu Berlin
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