„Es ist gut, dass sich die Universität auf den Weg gemacht hat, Wissenschaft und Zivilgesellschaft stärker miteinander zu verbinden“

Prof. Dr. Sunhild Kleingärtner

(© Heina Dannemann)

Prof. Dr. Sunhild Kleingärtner ist Wissenschaftliche Direktorin des Deutschen Bergbau-Museums Bochum, Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen, und Professorin für Archäologie mit Schwerpunkt Transfer an der Ruhr-Universität Bochum. In ihrer Arbeit geht es täglich auch um die Frage, wie Museen lebendige Orte des Wissensaustauschs bleiben und werden.

Frau Kleingärtner, Sie leiten das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum. Gibt es in Ihrem Museum einen besonderen Besuchermagneten?

Ganz aktuell ist das unser Doppelbock, ein ehemaliges Fördergerüst. Solche Gerüste standen einst über den Zechen und haben die Kohle nach oben befördert. Seit 1973 steht eines der Fördergerüste direkt über unserem Museum, weithin sichtbar. Derzeit ist es allerdings eingerüstet und mit Planen verhüllt, denn es wird saniert. Das haben wir zum Anlass genommen, die Sonderausstellung „Doppelbock auf Museum“zu konzipieren, mit diesem einen Objekt im Mittelpunkt. Die Eröffnung haben wir mit einer Graffiti-Aktion und Hiphop-Musik begleitet, um auch ein junges Publikum anzusprechen und einen leichten Zugang zu den wissenschaftlichen Inhalten zu ermöglichen. Diese spiegeln sich in den Graffitis wider, die für die Ausstellung mit Beteiligung von Schülerinnen und Schülern entstanden sind, aber auch in Düften und in Comics. Es geht um die Förderung von Bodenschätzen, aber auch um die Förderung von Erinnerung und von Wissen. In diesem Objekt kristallisieren sich im Prinzip alle zentralen Fragen, die uns gerade bewegen.

Welche sind das?

Gerade als Bergbau-Museum stehen wir an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter. Der Steinkohlebergbau in Deutschland ist seit 2018 eingestellt. In 40 oder 50 Jahren wird unser Fördergerüst vielleicht in erster Linie als ein Mahnmal für ein vergangenes fossiles Zeitalter bewertet. Das finde ich spannend, weil es auch die Veränderung unseres Publikums widerspiegelt und zeigt, dass wir einen Generationenwechsel zu gestalten haben. Auch Wissen wird heute anders rezipiert und verbreitet. Darauf müssen sich die Museen einstellen.

Museen sind traditionell Orte, die vielfältiges Wissen und die dazugehörigen Objekte sammeln, erforschen, aufbereiten und den Besucherinnen und Besuchern präsentieren. Wie hat sich ihre Rolle in den vergangenen Jahren verändert?

Sammlungen erleben derzeit ein Revival. Sie sind im Grunde Fakten, die in Materialität gebunden sind und erschlossen werden wollen. Natürlich müssen wir diese Materialien auch digital erschließen und verknüpfen. Museen sind die Sachverwalter dieser Sammlungen, die das Wissen global verfügbar machen und die Digitalität nutzen, um an unterschiedlichen Orten gelagerte Wissensbestände für unterschiedliche Fragestellungen neu zusammenzuführen. Sammlungsobjekte sind dabei nicht nur Forschungsobjekte, sondern auch Vermittlungsobjekte.

Auf welche Herausforderungen müssen sich Museen in Zeiten von Smartphones, Virtual Reality und Social Media einstellen und welche Chancen sehen Sie darin für den Wissensaustausch mit der Gesellschaft?

Es gibt die Befürchtung, dass Museen gar nicht mehr gebraucht werden, wenn alles digital abrufbar ist. Dabei gilt es eigentlich, kluge Wege zu finden, wie unsere digitalen Gewohnheiten auch als Grundlage für die Wissensvermittlung genutzt werden können. Heutzutage werden etwa Audio-Guides durch Apps auf dem eigenen Smartphone ersetzt. Wir bemerken auch, dass die Aufmerksamkeitsspanne geringer geworden ist und wir mit neuen Formaten darauf reagieren müssen. Dabei spielen Sound, Haptik oder Gerüche eine Rolle. Durch die sozialen Medien sind der Kommunikationsraum und die Reichweite viel größer geworden, denn Postings gehen rund um die Welt. Wir beobachten aber auch, dass über soziale Medien immer seltener fundierte Diskussionen möglich sind. Dennoch kann man diese Kanäle für die Museumsarbeit nutzen, kurz und pointiert Themen setzen, Meinungsbilder einholen und Museumserlebnisse multiplizieren. Gleichzeitig wird aber auch das Community-Building vor Ort wichtiger, um die lokalen Perspektiven gut einzubetten. Wir achten darauf, Personengruppen, die sonst nur wenig oder nicht gehört werden, stärker zu Wort kommen zu lassen, um aus vielen verschiedenen Perspektiven heraus eine veränderte Gesellschaft besser anzusprechen. Bei uns im Bergbau-Museum etwa gab es bis 2018 ein stark männlich geprägtes Narrativ, über das der Bergbau im Ruhrgebiet erzählt wurde. Da findet heute eine Veränderung statt.

"Sich nicht in der eigenen Blase zu verkapseln – das wird immer wichtiger. Open Humboldt setzt voraus, dass die Wissenschaft einen Perspektivwechsel vornimmt – und diesen Perspektivwechsel erwarten wir ja auch umgekehrt von der Gesellschaft."

Wie wirkt sich das auf die Museumsarbeit und auf Ihre Forschung am Bergbau-Museum aus?

Als Forschungsmuseum führen wir materialanalytische und archäologische Untersuchungen durch und betreiben Erinnerungs- und kulturhistorische Forschung, aber auch Besucherforschung. Unsere Forschungsprojekte sind zunehmend transdisziplinär – das heißt, wir beziehen die Zivilgesellschaft mit ein. In unseren Oral-History-Projekten teilen ehemalige Bergmänner ihr Erfahrungswissen und ihre Erinnerungen. Es gibt verschiedene Citizen Science-Projekte – etwa mit Computerexpert:innen, die uns dabei unterstützen, Daten aus dem Bergbau-Archiv Bochum zu erschließen und öffentlich zugänglich zu machen. Hier werden etwa Akten, Karten, Grundrisse oder Fotos und Filme aus dem deutschen Bergbau aufbewahrt. Die Freiwilligen katalogisieren Personalakten und versehen sie mit Metadaten, die dann weltweit zur Verfügung stehen. Diese Informationen sind für die Wissenschaft, aber auch für die Nachkommen ehemaliger Bergleute sehr wertvoll, die nach genaueren Angaben zur Art der Beschäftigung oder den Todesumständen ihrer Vorfahren suchen.

Was bieten Sie in ihrem Haus konkret an, um den Wissensaustausch zwischen Forschung und Gesellschaft zu stärken? Welche Expert:innen des Alltags binden Sie in Ihr Programm ein?

Das geschieht auf sehr vielfältige Weise. Für einen lebendigen Austausch sind Dialogformate besonders gut geeignet. Bei uns engagieren sich etwa Ehrenamtliche, die als Bergleute unter Tage gearbeitet haben. In unserem Anschauungsbergwerk berichten sie den Besucherinnen und Besuchern von ihren Erfahrungen und beantworten Fragen. Gemeinsam mit verschiedenen städtischen Institutionen wie dem Schauspielhaus und dem Kunstmuseum führen wir außerdem einmal jährlich unsere Klimawochenenden durch. In Workshops vermitteln wir dabei Themen der Nachhaltigkeit. Auch die „Toleranzräume“ – eine Bundesinitiative, die mit einem Container durch ganz Deutschland reist – waren bei uns schon zu Gast und lieferten unseren Besuchenden Impulse zum Nachdenken darüber, was Toleranz für sie bedeutet. Gemeinsam mit den sieben Bochumer Hochschulen, weiteren Forschungseinrichtungen und städtischen Akteuren haben wir ein umfangreiches Begleitprogramm dazu konzipiert und konnten so viele verschiedene Perspektiven einbeziehen.

Worin sehen Sie die Chancen eines Programms wie Open Humboldt Freiräume, das ja Forschende dazu ermutigt, sich für den Wissensaustausch mit der Gesellschaft zu engagieren?

Es ist gut, dass sich die Humboldt-Universität auf den Weg gemacht hat, Wissenschaft und Zivilgesellschaft stärker miteinander zu verbinden. Ich sehe die Chance, dass die Vielfalt all dessen, was einerseits eine Universität und andererseits die Gesellschaft bietet, auf neuen Wegen zusammengeführt wird. Sich nicht in der eigenen Blase zu verkapseln – das wird immer wichtiger. Open Humboldt setzt voraus, dass die Wissenschaft einen Perspektivwechsel vornimmt – und diesen Perspektivwechsel erwarten wir ja auch umgekehrt von der Gesellschaft. Die Idee ist mit der Hoffnung verbunden, dass die Vorschläge zum Austausch auch so angenommen werden, dass alle Seiten davon bereichert werden. Solche Formate können häufig auch Keimzellen für größere Projekte und Kooperationen sein.

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